Tag 41: „Was, wenn ich doch wieder trinke?“- Umgang mit einem „Rückfall“

Momentan fällt es mir gar nicht mehr auf, dass ich ein Leben ohne Alkohol führe. Höchstwahrscheinlich deshalb, weil ich den Alkohol überhaupt nicht vermisse. Klar denke ich an Alkohol in Zusammnehang mit meinen Blog und folglich reflektiere ich mein Denken und Empfinden bevor ich mich zu einem speziellen „Content des Tages“ entscheide, aber momentan fühle ich wirklich null Bedürfnis zu trinken. Wie ihr meinen vorherigen Einträgen entnehmen könnt, war das nicht von Beginn meiner Abstinenz an der Fall. Offensichtlich braucht der Körper ud der Geist jedoch einige Zeit, um sich ein anderes und neues Gewohnheitsmsuter zuzulegen. Diese Zeit muss sich der Mensch, der beschließt keinen Alkohol zu trinken, unbedingt einräumen. Ich kann nur anhand meiner eigenen Erfahrung bestätigen, dass sowohl das Bedürfnis als auch der Gedanke nach Alkohol im Laufe der Zeit geringer wird und an manchen Tagen komplett verschwindet.

Was aber, wenn doch eines Tages der Wunsch nach Alkohol so stark wird, dass selbst mein Notfallplan (ich schrieb darüber im vorletzten Eintrag) nicht greifen wird oder ich ihn bewusst ignoriere um doch zu trinken? Wenn ich die Kontrolle dann verlieren und mehr als geplant und gesundheitlich noch im Rahmen trinken werde? Nun ja, erstens werde ich am nächsten Tag wieder einen grausamen Kater haben, und dann?

Wenn ich es nüchtern betrachte, habe ich nach dem Trinken nur zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Die erste Option wäre à la „Einmal ist Keinmal“, und ich würde es als Anlass nehmen wieder Alkohol zu konsumieren. Ich sehe aber bereits jetzt die Gefahr, schneller als gedacht in meine alten Trinkmuster zu verfallen und es eventuell noch wilder und bunter zu-und hergehen zu lassen wie vor der abstinenten Zeit, quasi als Kompensation. Dass dies passieren kann, schreibt auch Daniel Schreiber in seinem Buch “ Über das Trinken und das Glück“. Folglich, und dass es gilt es sich einzugestehen, zieht man sich noch tiefer in seine Alkoholproblematik hinein.

Von diesem Szenario wenig begeistert, scheint es die zweite und weitaus bessere Variante zu sagen: Okay, es ist passiert, ich fange von vorne an, wieder Tag Null. Ich führe mir vor Augen, wie gut sich die alkoholfreie Zeit für mich angefühlt hat, welche Gründe dafür sprechen, es weiterhin zu versuchen und direkt ab dem nächsten Tag wieder das erste Glas stehen zu lassen. Denn im Grunde genommen habe ich ja keine andere Wahl. Das Leben wird weiter gehen und ich entscheide am kommenden Tag nach dem Konsumieren von Alkohol ja, wie es denn dann weiter gehen wird. Ich werde mich auf keinen Fall für das Trinken verurteilen (warum auch? andere trinken ja auch), ich werde mir nur mein Alkohoproblem eingestehen und vor diesem Hintergrund bewusst wieder versuchen, den abstinenten Weg einzuschlagen, um mich, meine Familie und meine Gesundheit zu schützen.

Nachdem ich die oben formulierte Frage „Was,wenn ich doch wieder trinke“ für mich geklärt habe, ist es nicht mein Ziel, nun doch eine Legitmation zu haben, wieder trinken zu können, weil ich mir heute vorgenommen habe, nach dem „Ausrutscher“ anschließend weiterhin abstinent zu leben. Das wäre fatal und reiner Selbstbetrug. Menschen mit einem Alkoholproblem müssen ehrlich zu sich sein. Ich werde einfach weiterhin jeden Tag probieren, nein zu sagen.

Aber auch ich weiß, dass ich schwach bin und der Tag X der Versuchung doch etwas Alkoholisches zu trinken nahen kann. Deshalb hilft mir momentan das Vertrauen auf Gott, von dem ich mir die nötige Kraft Tag für Tag erbete. Ich bin keine sehr gläubige Person, aber weise genug um zu verstehen, dass an diesem Punkt nur eine Verlagerung in die Transdendenz hilft, in die Einsicht, Vertrauen in eine Kraft zu haben, die stärker ist als man selbt, um gewappnet zu sein für den Augenblick, in dem man es aus eigener Kraft nicht zu schaffen vermag.

Erkenntnis des 41 Tages: Lasse das erste Glas nach einem Ausrutscher wieder stehen, verurteile dich nicht dafür.

Ganz herzliche Grüße an die Welt da draußen und eine wunderbare Nacht.

Eure Freya

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Tag 40 ohne Alkohol: Gedanken über mich zu nächtlicher Stunde

Es ist kurz vor Mitternacht und ich kann nicht schlafen. Eine positive Nebenwirkung der Alkoholabstinenz: ich brauche eindeutig weniger Schlaf und ich bin morgens ausgeschlafen. Das Tief Sabine stürmt um das Haus. Und auch in mir war es heute ziemlich am stürmen. Warum, was war mit mir los?

Ich merke zunehmend, dass ich vor mir selbst nicht mehr weglaufen kann. Mein Inneres und meine Bedürfnisse wollen wahrgenommen werden. Klar kann man nun leichtfertig reagieren und fragen: Ist das nicht bei jedem so? Ja, sicherlich. Der Unterschied zu mir aber ist: so lange ich Alkohol konsumierte, sind diese Gedanken und Bedürfnisse gar nicht bis an die Oberfläche gedrungen. Der Alkohol hat verhindert, dass ich diese Gefühle und Gedanken überhaupt zulassen konnte. Sie waren eventuell unbewusst da, aber ich habe sie nicht reflektiert, weil sie betäubt waren, ausgeschaltet waren.

Große Unzufriedenheit machte sich heute in mir breit, ich nahm den Wunsch nach Veränderung wahr. Früher, wenn ich an diesem Punkt war, trank ich ein paar Gläser Wein und ging schließlich auf Partys oder tanzen. Hin und wieder gab es auch einen feucht fröhlichen Abend bei uns daheim. Heute funktuonierte dieses altbekannte Muster des Verdrängens nicht, ich ließ die Gedanken laufen, spürte in meinem Inneren meine Gefühle nach und überlegte mir, was ich eigentlich in meinem Leben suche.

Ich bin beinahe 40 Jahre alt, habe einen gut bezahlten und sicheren Job, zwei Kinder, ein tolles Zuhause, einen wunderbaren Ehemann. Wir leben größtenteils in Harmonie, die Kinder sind gut geraten, wir haben Land um unser Gemüse anzubauen. Woher dann diese Unzufriedenheit? Die Antwort kam in einem Telefonat mit einer Freundin. Ich glaube, ich war seit meiner Jugend immer auf das berufliche Fortkommen fokussiert. Alles hinkriegen, das Leben aufbauen, ja unabhängig sein: Studium, gefolgt von einer harten Ausbildung. Dann, nach einer zehnjährigen Gewaltbeziehung, habe ich endlich einen Mann gefunden, der intellektuell und auch von der Welthaltung her zu mir passt. Familiengründung, nebenher mit Altlasten aus der Vergangenheit aufgeräumt, ein schönes Daheim eingerichtet. Was ich lange nicht bemerkte, weil ich Alkohol konsumierte: Ich bin angekommen an meinem Ziel: ich habe es geschafft, ich kann beruhigt in die Zukunft schauen. Ich kann endlich sagen: Es ist alles gut, wie es ist.

Alkohol gehörte somit unter anderem auch zu meinem Leben, um Existenzängste, Stress und Druck abzubauen. Dieser existentielle Stress ist aber gar nicht mehr notig. Ich habe neue Zeit, neue Räume zu füllen, ich kann mir Projekte suchen, die mich persönlich ausfüllen. Endlich. Ohne die 40tägige Alkoholabstinenz wäre ich zu dieser Einsicht nicht gekommen.

Ich weiß, ich spreche hier von meinem individuellen Fall. Aber ich denke, dass der Mechanismus bei vielen Menschen ähnlich ist: wenn wir Alkohol konsumieren, können wir uns nicht auf unser Inneres fokussieren, darauf, was wir gerade brauchen, um im Leben einen wichtigen Schritt durch eine wichtige Erkenntnis weiter zu gehen und zwar so weiter zu gehen, dass der Körper, die Seele und der Geist dabei im Einklang sind. Bei Alkoholkonsum können die Gefühle, die Veränderung signalisieren, nicht wahrgenommen werden. Bei längerer Abstinenz hingegen ist man aufeinmal in der Lage, in sich hineinzuhorchen, seine innere Stimme zu beachten. Ich persönlich habe heute gelernt, dass alte Gedanken und Ängste längst überholt sind, da ich schon seit einiger Zeit im Leben ganz woanders stehe. Ich hatte es einfach nicht gemerkt!

Erkenntnis des 40. Tages: Inne halten, in sich horchen und um sich schauen. Es ist so vieles Gutes da!

❤️ liche Grüße an alle.

Eure Freya

Beinahe 40 Tage ohne Alkohol: Mein Notfallplan für einen eventuellen Rückfall

Heute vor 39 Tagen beschloss ich keinen Alkohol mehr zu trinken. Ich bereue diese Entscheidung keinen Tag und keine Sekunde. Es ist ein unsägliches Gefühl, nach und nach die Macht über mein Leben zurück zu gewinnen. Auf meinem Schreibtisch stehen nun selbstgebackene Kekse und Roibostee. Ich genieße die verschiedenen Aromen von Tee, die mich umgeben, so wie früher in meiner Studentenzeit. Mein Geruchssinn ist sehr viel feiner geworden und überhaupt nehme ich meine Umwelt und meine Mitmenschen wieder wahr. Ich bin wieder präsent, ich denke nicht mehr an das nächste Glas Alkohol oder erhole mich von einer durchgefeierten Nacht. Es geht bergauf, Tag für Tag.

„Was machen Sie, wenn der Trinkdruck so groß wird und Sie an einem Tag unbedingt trinken möchten, wenn Sie morgens schon merken, dass irgendwas anders an dem Tag ist?“, fragt mich die Psychologin aus der Beratungsstelle, die ich hin und wieder aufsuche und der ich stolz von meiner fünfwöchigen Abstinenz berichtet hatte. Da ich nicht genau wusste, worauf sie hinauswollte, erklärte sie mir, dass es immer Tage im Leben von Menschen mit einem Alkoholproblem gäbe, in denen der Wunsch nach Alkohol so stark werde, dass der Wille „nein“ zu sagen, nicht reiche. Die betroffene Person entwickle einen solchen Tunnelblick, dass der normale Verstand nicht reiche. In anderen Worten: Ich müsse mit einem „Rückfall“ rechnen und diesen so gut es geht mental vorbereiten und einen Notfallplan entwickeln.

Also besteht meine Aufgabe darin, mir zu überlegen, wie mein persönlicher Notfallplan aussehen kann. Ich werde weiterhin keinen Alkohol im Haus haben, das ist ja wohl klar. Ansonsten schreibe ich mir folgende Punkte auf ein Kärtchen, das ich in mein Portemonnaie legen werde:

Notfallplan: 1. Ich rufe meinen Mann an und erzähle ihm von meinem Wunsch zu trinken. 2. Ich werde eine Runde joggen gehen und 10 Minuten richtig sprinten. 3. Ich lege mich in die heiße Badewanne. Und wenn das alles nichts hilft oder möglich ist: ich beiße in eine getrocknete Chili. Und die Chili werde ich auch mit in den Geldbeutel legen. Im Notfall, wenn gar nichts anderes mehr hilft, werde ich es tun. Dann werden alle meine Sinne wohl erst einmal mit anderen Gedanken beschäftigt sein, als wirklich den Alkohol zu besorgen oder gar zu konsumieren.

Die Idee mit der Chili gab mir meine Psychologin von der Beratungsstelle mit. Daran erkenne ich, wie gut es tut, mit Menschen zu sprechen, die Ahnung und Wissen in ihrem Themenfeld haben und schon jahrelang mit suchtkranken Menschen zusammenarbeiten. Daher kann ich nur dringend empfehlen, euch Hilfe und Unterstützung zu suchen, wenn ihr merkt, dass sie euch nützlich ist. Ich bin froh, diesen Schritt vor beinahe zwei Jahren gegangen zu sein und zu wissen, dass es da jemanden gibt, der mich darin unterstützt, in kontrollierten Mengen, weniger oder überhaupt nicht zu trinken. Alle diese Versuche hatte ich bereits gewagt, bevor ich den radikalen Schritt des alkoholfreien Lebens wagte. Ich konnte das Tempo vorgeben und ich bin so unendlich dankbar, diesen Weg, ein Leben ohne Alkohol, eingeschlagen zu haben. Ich bin neugierig darauf, wie es weiter geht und wünsche mir noch viele Tage, an denen ich morgens die Kraft habe „nein“ zum ersten Glas zu sagen.

Seid ganz herzlich gegrüßt.

Eure Freya

Erkenntnis des 39. Tages: Hilfe zu suchen, ist keine Schwäche!

Tag 24-31: Abstinenz vom Alkohol macht frei

Seit meinem letzten Blogeintrag ist eine ganze Woche vergangen. Die Arbeit und auch der wiedergewonnene Lebensspaß haben daran in einem positiven Sinne Schuld. Meine App zeigt heute Tag 32 ohne Alkohol an und das Beste ist: ich bin wirklich konsumfrei geblieben!! Es ist ein unbeschreiblich glücklich machendes Gefühl. Ich ruhe immer mehr in mir selbst, ich kann mich besser denn je konzentrieren und ich bin körperlich von Tag zu Tag fitter.

Letzte Woche Samstag bin ich dann doch noch ausgegangen. Auf eine Party. Und es war eine super interessante Erfahrung nicht zu trinken, während um mich herum die anderen Partyteilnehmer langsam lustiger, alkoholisierter und lauter wurden. Ich stand mit einer Cola, einem Wasser oder einer Fanta abwechselnd in der Hand da und genoss es, zu beobachten. Die Klarheit an diesem Abend war beeindruckend, ich konnte gut Gespräche führen, tanzen, mich bewegen. Das Coolste war: ich wusste während der ganzen Party, dass ich am Sonntag keinen Kater haben würde, dass ich ausgeschlafen sein würde, dass ich wissen würde, was am Abend gelaufen ist und dass ich die Kontrolle haben würde und nicht der Alkohol! Dieses Wissen gab mir die Kraft jedes Mal an der Bar wieder ein alkoholfreies Getränk mit einem breiten Lächeln zu bestellen.

Meine Begleitung hatte es schnell begriffen, dass ich keinen Alkohol trinken würde und trank selbst auch nichts. Fragen wurden überhaupt gar keine gestellt. Ich musste mich für meine Cola in der Hand nicht rechtfertigen. Ganz im Gegenteil: ich bekam bewundernde Blicke zugeworfen.

Für mich war es ein großes Erfolgserlebnis. Nein zum Alkohol zu sagen, obwohl er auf dieser Party gratis war, obwohl fast alle Personen um mich herum tranken. Es war zudem eine gute Bestätigung für mein Ego und für meinen Willen. Mein Körper dankte es mir am kommenden Morgen ebenso: denn obwohl ich erst um drei Uhr nachts im Bett war, konnte ich am Sonntag bereits um zehn Uhr in der Küche stehen und Kuchen backen- beseelt mit Erinnerungen an einen schönen Partyabend. Völlig nüchtern.

Erkenntnis des 31. Tages: Party ohne Alkohol geht und Spaß macht die Nüchternheit.

Seid alle herzlich gegrüßt.

Eure Freya